Brief vom 10.01.1940


8. BRIEF VOM 10.01.1940 IM TEXTFORMAT

Adresse: Frau Redlinghofer Agnes Krems a./d. Donau Spitalgasse Nr 3 Ostmark
Stempel: Berlin-Plötzensee 11.1.40 – 20 a
Absender: Kein Absender

Berlin-Plötzensee, den 10. Jänner 1940

 

Liebes Weib!

 

Soeben, 7 Uhr abends, kam die Gerichtskommission zu mir in die Zelle und teilte mir mit, dass das Todesurteil rechtskräftig ist und morgens um 6 Uhr 10 Minuten vollstreckt wird. Möge der allmächtige Herr meiner armen Seele gnädig sein und mich in Frieden aufnehmen in das Verheißene Reich! Ach! Liebe Agnes! Wie ist mir so wehmutsvoll ums Herz! Kein Mensch in der weiten Welt kann sich solch eine Verfassung ausdenken in der sich ein Mensch befindet, der nur mehr Stunden zu leben hat. Der Herr sende seinen Engel, dass er mich stärke! Jetzt ist es ungefähr 10 Uhr nachts, wo ich Dir den Brief schreibe. Es sind meine letzten Zeilen aus Deines Mannes Hand. Wenn der Brief Dich erreicht haben wird, bin ich bereits begraben. Ich bitte Dich und alle meine Angehörigen und Verwandten, wenn ich euch je mit einem Wort beleidigt habe oder sonst Unrecht tat, mir zu vergeben! Ich wünsche Dir und dem Kinde das Beste auf Euren künftigen Lebensweg und empfehle Euch dem Herrn und seinem Segen! Ich bat meinen Vater im Himmel mehrmals flehentlich darum. Von nun an bist Du Witwe und mein kleiner Liebling eine Waise, aber sei furchtlos und ohne Sorge. Sei dem Kinde eine gute, fürsorgliche Mutter. Von nun an musst Du ihr auch den Vater ersetzen. Sei mir nicht gram liebes Weib! Ich bin meinem Vater Jehova in Christo Jesu gehorsam schuldig und will meiner Verpflichtung ihm gegenüber restlos nachkommen! Du wirst mich hoffentlich begreifen! Ich für meinen Teil danke Gott für diese Gnade, die ich in Christo teilhaftig werden durfte. Du musst jetzt aus Deiner alten Gewohnheit heraus gehen und dauernden Erwerb suchen, weil Du auf Dich selbst angewiesen bist. Wenn das Kind sagt, wo der Vater ist, dann sage, er ist mit der Lokomotive weit fortgereist und kommt erst in langen Jahren wieder. Das wird sie sicher glauben. Grüße mir Onkel und Tante - nebst meiner Cousine Resi - auf das Herzlichste und übermittle ihnen meinen aufrichtigen Dank für alles, was sie Dir und meinem Liebling Gutes taten. Nebst vielen Grüßen und einem herzlichen Lebewohl! Die letzten Grüße an meinen Bruder Toni und Schwägerin. Ich gehe versöhnt von ihm und er vergebe mir, so ich ihm Unrecht tat. Ich kann nichts dafür, dass mein Leben manchmal so sonderbar war. Sollten Neugierige dich fragen, wo ich solange verbleibe, so antworte kurz und bündig ich sei an meiner alten Magenkrankheit in einem Spital gestorben. Fasse Dich und sei nicht verzagt und vertraue auf Gott! Wenn Du einen wirtschaftlichen Rat brauchst, geh zum Onkel. Er ist sehr gefällig und wird Dir in allem an die Hand gehen. Meine Briefe die Du mir geschrieben hast nebst Fotos, Kleider und Gebiss, etc. wird die Anstaltsbehörde Dir alsbald senden. Nochmals herzliche Grüße und Küsse an alle Verwandten, nebst einem letzten Lebewohl!! Ich umarme Dich geliebtes Weib nochmals aufs Innigste im Geiste und auch meinen Liebling! Tausend Bussi! Und Dir viele herzliche Küsse zum Abschied. Lebt Wohl, auf Wiedersehen im Reiche der Himmel! Amen! Es ist 12 Uhr - gute Nacht!! Euer treuer Rudolf.

 

Seitlich: Der Herr sei mit Euch allen!