Brief vom 16.11.1939


1. BRIEF VOM 16.11.1939 IM TEXTFORMAT

Adresse: Frau Agnes Redlinghofer in Krems a./d. Donau Ostmark
Stempel: Berlin-Charlottenburg 2, 27.11.39 - 19
Absender: Abs: R. Redlinghofer Berlin, Alt-Moabit 12 a, Untersuchungsabteilung

Berlin, am 16.11.1939

 

Liebe Agnes!

 

Wir fuhren am Montag, den 13. November um 8:15 Uhr vom Westbahnhof Wien mit dem Schnellzug ab und kamen nach 13 ½ stündiger Fahrt am Dienstag, den 14. November in Berlin an. Begleitet wurden wir von einem Feldwebel und drei Gefreiten. Wenn ich richtig verstanden habe, dann hat der Untersuchungsrichter in Wien zu mir gesagt, dass ich am 11. Dezember die Verhandlung hier vor dem Obersten Reichskriegsgericht habe. Im Dezember ist es bestimmt, dass weiß ich. Rechtsanwalt kann ich mir keinen leisten, weil ich kein Geld dazu habe. Es ist nur schade, dass Du nicht hier sein kannst bei der Verhandlung. Da könnten wir uns noch einmal sehen. Bei meiner Ankunft hier in der Strafanstalt legte mir der Beamte nahe, ich soll schleunigst von meinem Glauben ablassen, ansonsten ich um meinen Kopf komme. Jeder Mensch glaubt an etwas, und auch ich habe das Recht an meinen Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, zu glauben. Würde ich ihn aber verleugnen und somit sein Gesetz durch eine verkehrte Handlungsweise übertreten, so wäre ich kein richtiger Christ. Ich schädige mit meiner Glaubensüberzeugung keinen Menschen und auch nicht den Staat. Ich bin auch bereit, für Volk und Heimat jeden Dienst zu tun. Aber mit der Waffe in der Hand meinem Nächsten gegenübertreten und ihn töten, nein, das kann ich nicht mit meinem Gewissen und dem Gesetz Gottes in Einklang bringen. Er fordert doch, dass man kein Menschenblut vergießen darf. Ferner sagt sein Gesetz, er wird das Blut von eines jeden Menschenhand fordern, die es vergießt. Sei mir daher nicht gram, liebes Weib, wenn ich Dir und dem Kinde gegenüber so handle, aber mein Glaube und die Gesetze Gottes fordern Gehorsam dem Allmächtigen gegenüber - von jedem Menschen, der es ernst nimmt mit dieser Sache. Der Christus als Vertreter Gottes sagt selbst: „Wer Weib, Kind, Eltern oder Besitztum mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert“. Oh, wie jammervoll sieht doch das heutige Christentum aus! Ich empfehle mich und Euch Gott dem Allmächtigen. Er segne uns! Amen! Wenn die Cousine Poldi mich in Wien noch rechtzeitig besucht hätte, dann hätte ich nicht so viele unnütze Sachen hier. Der Abtransport kam ja so überraschend. Die 10 Mark habe ich noch in Wien empfangen, besten Dank. Schreibe mir, was es bei Euch zu Hause alles Neues gibt und wie es um Euch steht. Viele Bussi an meine kleine Nina! Und an Dich meine liebe Agnes. Der Herr sei mit Euch allen. Herzliche Grüße an alle meine Verwandten!

 

Euer Rudolf 

 

 

Adresse: Alt-Moabit 120, Berlin N.W.

Untersuchungsgefängnis

Gefg. I. Abt. B.II. Zelle 225