Brief vom 19.12.1939


5. BRIEF VOM 19.12.1939 IM TEXTFORMAT

Adresse: An Frau Redlinghofer Agnes Krems a./d. Donau Spitalgasse Nr. 3 Ostmark
Stempel: Wien 1, 22.12.39 – 21 a
Absender: Abs: R. Redlinghofer Berlin NW40, Alt-Moabit 12 a, .Untersg. BI.Z.219

Berlin, am 19.12.1939

 

Liebes Weib!

 

Am 25.11.39 erhielt ich Deinen ersten Einschreibebrief. Und am 15.12. erhielt ich Deinen lieben Brief vom 30.11.39. Hat mich sehr gefreut, nun wieder einmal eine gute Nachricht von Zuhause erhalten zu haben. Die Tante soll doch endlich einmal vernünftig sein und die Arbeit lassen, wenn sie immer krank ist. Was hat sie davon, wenn sie dann zu Grunde geht. Der Onkel verdient, die Resi verdient, sie werden doch genug damit haben. Ich bin zum Tode verurteilt worden am 9.12.39. Ich habe mich in einer schriftlichen Äußerung dagegen verwahrt, weil ich mich nicht des Todes schuldig fühle - im Sinne von §5 Abs. 1 Ziffer 3. Ich wäre höchstens als Fahnenflüchtiger nach die §48, §69, §70 MSZGB zu behandeln gewesen. Wenn es für eine Glaubens- und Gewissenssache überhaupt eine Bestrafung gibt. Denn ich bin mir keiner Schuld bewusst, weil ich mich streng nach den Gesetzen des Höchsten hielt. Dafür soll die sogenannte Obrigkeit mich nur loben aber nicht bestrafen. Ich bin auch kein Fahnenflüchtiger aus dem Felde oder ein Aufwiegler oder Rädelsführer, der andere Personen dazu veranlasst hätte, ungehorsam zu sein oder der Fahne zu fliehen, etc. Und nicht einmal diese Leute wurden alle mit dem Tode bestraft. Am allerwenigsten kann mir, der ich nur die Gesetze des Höchsten befolgt habe, die Zersetzung der Wehrmacht aufgelastet werden. Ich weiß auch, dass das Gericht anderer Auffassung über meine Sachlage ist, als ich. Es kann sich aber kein Christ über die Gesetze des Allmächtigen ungestraft hinwegsetzen. Doch Jehova ist Gott, er wird meine Rechtssache führen. Ich muss Dir gestehen, mein liebes Weib, dass das Todesurteil auf mich nicht den mindesten Eindruck machte. 1.) War ich darauf längst vorbereitet, und 2.) wusste ich, dass ich mein Leben für eine gerechte und heilige Sache in Christo niederlege, aber für kein selbstsüchtiges Unternehmen. 3.) Weiß ich auch, dass der, dem ich mein Leben zu Füßen lege, unbegrenzt mächtig ist und es mir wiederzugeben vermag. Sagt doch Christus: „Fürchtet euch nicht vor denen, die euren Leib töten, hernach aber nichts weiter tun können.“ Sondern Glaube ruht auf dem großen Fels Christi, durch Gottes Gnade werde ich feststehen. Ich bitte und danke dem Herrn, dass Ihr zum Leben die Fülle habt. Auch ich denke an Euch beim Schlafengehen und sende der Nina viele Bussi! Hast Du meinen Brief 11.12.39 über die Verhandlung erhalten? Berichte meinem Bruder und grüße mir seine Familie! Grüße mir auch alle übrigen Verwandten - ich muss sagen: ein letztes Mal - weil ich doch jeden Tag damit rechne, dem irdischen Scharfrichter gegenüberzustehen. Lasse die Kleine auch unter brave und gesunde Kinder gehen, damit sie etwas aufgeweckt und selbständiger wird. Die Zimmerluft ist für Kinder nicht immer gut. Sie müssen sich auch auslaufen. Ist für die Entwicklung von Herz und Lunge unumgänglich notwendig. Kinder haben immer Ausreden, wenn sie etwas nicht tun wollen. Wir waren ja nicht anders. Grüße mir Deine Eltern und teile ihnen davon mit. Fragen Dich die anderen Leute wegen mir, so sag: ich bin hier gestorben! Dem Kinde erzähle was du glaubst! Die Behörden werden Dir ja schließlich auch Nachricht geben! Lebet wohl! Es grüßt und küsst euch herzlichst, Nina extra oft!

 

Euer Rudolf Redlinghofer

 

 

Berlin, NW 40, Alt-Moabit 12

Untersgf. BI. Zelle 219