Brief vom 25.12.1939


6. BRIEF VOM 25.12.1939 IM TEXTFORMAT

Adresse: An Frau Agnes Redlinghofer Krems a./d. Donau Spitalgasse Nr 3 Ostmark
Stempel: Wien 1, 06.01.40 – 17 a
Absender: Abs: Redlinghofer Rudolf Berlin NW40, Alt-Moabit 12 a, Untersgf. BI Z.219

Berlin NW 40, den 25. Dezember 1939
Gef.-B.-Nr.: 3219 BI. Zelle 219

Liebes Weib!

 

Deine lieben Briefe vom 7. und 12.12.39 habe ich am 20.12.39 erhalten. Ich antworte Dir immer gleich wenn ein Brief von Dir kommt. Aber bei 3000 Mann gibt es halt in der Zensur sehr viel zu tun. Du fragst wie ich hause? Hier gibt es nur Einzelhaft, jeder ist vom anderen streng isoliert, da gibt es kein Quatschen mit dem Nachbarn. 7 Uhr morgens wird aufgestanden, 8 Uhr abends wird das Licht ausgemacht und schlafen gegangen. Eine Ausnahme besteht für uns Todeskandidaten. Da werden beim Abendbrot die Kleider abgesammelt und das Licht brennt die ganze Nacht hindurch. Dies ist nur eine Sicherheitsvorkehrung, damit keiner sich was zu Leide tut. In der Unterwäsche ist’s natürlich kalt, und so lege ich mich halt um circa ½6 Uhr schlafen. Mein Abteilungsleiter sagte mir, dass ich hier nicht sterbe, sondern in ein anderes Gefängnis komme. Morgens gibt es Schwarzen ohne Zucker, mittags Eintopf, abends Suppe oder Tee. Brot ist halt knapp. Ich habe Dir ja schon so oft erklärt, mich nicht zu besuchen, weil es nicht dafür steht, für ein paar Minuten soviel Geld wegzuwerfen. Ich bin überall gut aufgehoben und habe Trost in meinen Gott! Pakete hätten sie hier überhaupt nicht angenommen. Sag, kannst Du Dir den nichts merken was man Dir schreibt? Mache mir keine langen Zähne mit solchen Dingen und esse das Zeug selber, und lasse es Dir gut schmecken! Ich werde solche Sachen bald nicht mehr brauchen! Wenn man abgestraft ist, gibt es auch nichts mehr zum Kaufen. Auch kriegt man hier ohne Bezugsschein überhaupt nichts! Der Herr Jehova ist mit mir in Christo und ich werde zu Ende gehen, was ich begonnen habe. Dies mache ich alles durch den, der mich kräftig. Dazu brauche ich keine Ermunterung von Menschen. Das besorgt schon der Geist Christi, der in mir wohnt, durch die Gnade die mir Jehova der Allmächtige schenkte. Ich habe in dieser Welt kein Bürgerrecht. Gleichwie mein Meister keines hat in dieser Welt. Denn wenn diese Welt seine Welt gewesen wäre, so hätten ihm seine Bürger nicht des Aufruhrs bezichtigt und getötet. Er klopfte ihnen auf ihre schmutzigen Finger, und das konnten sie nicht vertragen. Er sagte ihnen, euer Vater ist nicht Jehova, sondern der Fürst dieser finsteren Welt - und das ist der Teufel, der gegen Gott rebellierte und sich selbst zum Gott machte. Sein Sturz ist nahe, und dann wird die Welt Frieden haben! Grüße mir meinen Bruder Toni. Und meinen Arbeitskammeraden Franz aufs Herzlichste. Die Tante soll für mich keine Träne vergießen, vielmehr soll jetzt jeder Mensch dafür sorgen, sein Heil in Gott zu suchen so lange noch Zeit ist. Lass die Weiber im Hause und Umgebung neugierig sein wie sie wollen. Antworte ihnen ausweichend. Dein Aussehen ist nicht gut. In St. Pölten warst Du und das Kind blass wie die Mauer. Mein Beileid für meine Cousine und Mann, möge sie bald gesund werden. Grüße mir Frau Wegscheider samt Kinder! Die Klopfgeister von denen Du geschrieben hast, werden nicht mehr lange ihr Unwesen treiben. Der Herr Jehova wird ihnen bald ordentlich auf den Kopf klopfen! Hernach wird ein Ende sein mit der Fegefeuer- / Hölleneinschüchterungsreklame. Wenn die Hausfrau nach mir frägt, sage ihr bescheid. Die Wohnung müssen sie Dir auch nach meinem Tode lassen! Lasse Dir im Haus nichts streitig machen worauf Du ein Recht hast! Betreffs der Fabrik sage ich: der Verdienst und alles ist drinnen ganz schön, aber privat hast mehr Ruhe für Deine angegriffenen Nerven. Am besten ist Du überlegst das bei dir selbst gründlich. Denn von nun an bist Du Dein eigener Mann! Solltest Du wegen Deiner alten Krankheit auch einmal erholungsbedürftig werden, so lasse meinen Onkel oder Deine Großeltern nach dem Rechten sehen. Ich kann von hier aus Dir nicht raten, weil ich Eure jetzige und auch spätere Situation nicht kenne. Ein Sprichwort heißt: Selbst ist der Mann! Über mich macht Euch nur ja kein Kopfweh, weil ich mir selbst auch keines mache. Meinen Brief vom 11.12.39 mit Verhandlungsresultat wirst Du ja erhalten haben? Ich habe daneben auf Lebenszeit Ehrverlust und Wehrunwürdigkeit. Hier hat es auch schon geschneit, doch er blieb nicht liegen. Die Nina soll sich nur auch ein wenig herumbalgen mit den Kindern. Dies ist gesund! Wenn es auch manchmal ein kleines Wehwechen gibt, das schadet nicht. Du musst halt jetzt Deine alte Lebensgewohnheit ändern, wo Du auf Dich selbst angewiesen bist. Bete und vertraue auf den Allmächtigen, er wird euch segnen! Schrieb Dir zum Andenken an mich 2 Tagehäfte, worinnen ich in Kürze meine Verhaftung, Untersuchung und Sonstiges schilderte. Nach der Durchsicht wird die Behörde sie Dir senden. Wenn sie vergessen, so verlange die Hefte! Grüße mir alle Verwandten auf das Herzlichste!

 

Seitlich: Lasse die kleine Nina Bussi schreiben, damit sie nicht gekränkt ist! Auch ich der Vater, schreibe ihr viele Bussi! Vieleicht auch die Letzten! Es grüßt und küsst Dich, Dein treuer Rudolf. Grüße an Schwiegereltern und so weiter. Mit Deinen Schreiben bin ich zufrieden, Neues gibt es ja immer. Das Kind geht mir allerdings ab. Arbeit wirst du schon finden!

 

Wenn länger kein Schreiben eintrifft, keine Sorgen machen, sondern abwarten!